Wie entstehen Klischees und Stereotypen?
Frauen tratschen, Männer helfen nicht im Haushalt, Computerfreaks sind unsportlich und Beamte arbeiten nicht besonders fleißig: Wir alle kennen solche Klischees. Doch woher kommen diese kulturellen Stereotypen? Wie entstehen sie? Und inwieweit haben sie einen wahren Kern? Diese Fragen haben schottische Forscher untersucht und dazu ein erstaunlich einfaches, aber verblüffend aussagekräftiges Experiment durchgeführt.
Inhalt
Klischees können helfen
In so gut wie jeder Gesellschaft und Gruppe gibt es Klischees und Stereotypen. Das ist auch gar nicht so verwunderlich. Denn solche sozialen Schablonen können durchaus hilfreich sein. Sie machen es uns einfacher, die Welt um uns herum zu erfassen und in Kategorien einzuteilen.
Begegnen wir zum Beispiel einer fremden Person, stellen uns die Stereotypen eine erste Grundlage zur Verfügung, auf der wir uns mithilfe unserer eigenen Eindrücke ein Bild von der Person machen können.
Solange Klischees nicht so stark sind, dass sie einem genaueren Hinsehen und einem echten Kennenlernen im Weg stehen oder zu einem festgefahrenen Vorurteil werden, müssen Stereotypen nichts Schlechtes sein. Ganz im Gegenteil helfen uns Stereotypen sogar dabei, uns Informationen über andere Leute zu merken und effektiv im Gedächtnis zu speichern.
Oft prägen wir uns zum Beispiel eine Person anhand eines besonders auffälligen Merkmals ein, etwa nach dem Motto „Das war die mit der grellen Stimme“ oder „Das war der mit den buschigen Augenbrauen“.
Stille Post als wissenschaftliches Experiment
Bleibt aber die Frage, wie die kulturellen Stereotypen entstehen, die fast jeder kennt, und wie viel Wahrheit in ihnen steckt. Studienleiter Doug Martin von der Universität von Edinburgh und seine Kollegen haben zu genau dieser Frage ein Experiment durchgeführt.
Für das Experiment zeigten sie ihren Testpersonen Steckbriefe von verschiedenen Aliens mit einem fremdartigen Aussehen. Die Steckbriefe enthielten sowohl Bilder als auch Beschreibungen des Charakters.
Die Studienteilnehmer sollten sich zunächst die Persönlichkeiten der verschiedenen Aliens einprägen. Anschließend sollten sie einem anderen Testteilnehmer die außerirdischen Wesen beschreiben.
Dieser Testteilnehmer muss sich die Beschreibungen merken und seinerseits an eine weitere Person weitergeben. Die Kommunikationskette folgte also dem gleichen Prinzip wie das Kinderspiel „Stille Post“.
Die Wissenschaftler machten im Verlauf des Experiments eine spannende Beobachtung. Während die Zuordnung von Aliens und deren Merkmalen zu Beginn eher unübersichtlich und umfangreich war, wurde sie mit der Weitergabe der Informationen von Person zu Person immer stärker vereinfacht.
Am Ende der Kommunikationskette blieben Beschreibungen übrig, die die gleiche Struktur aufwiesen wie klassische Klischees. Die Testteilnehmer hatten nämlich körperliche Merkmale mit charakterlichen Merkmalen verknüpft.
So blieb von den Steckbriefen zum Beispiel übrig, dass der blaue Alien friedlich, aber scheu ist, während der grüne Alien lange Ohren hat und aggressiv ist.
Mischung aus Wahrheit und Unterstellung
Eine weitere interessante Erkenntnis aus dem Experiment war, dass die Vereinfachung der Beschreibungen im Laufe der Zeit dazu führte, dass alle blauen Aliens automatisch mit einer friedlichen Grundhaltung in Verbindung gebracht wurden. Im Unterschied dazu wurde allen grünen Aliens eine aggressive Grundhaltung unterstellt.
Aber auch dieses Phänomen lässt sich psychologisch erklären. So neigt der Mensch zu der Annahme, dass sich Personen, die ein auffälliges Merkmal gemeinsam haben, in anderen Punkten ebenfalls ähnlich sind.
Wir suchen also gewissermaßen nach einem Muster. Aus diesem Grund können wir uns Eigenschaften eines Fremden, die in ein bestimmtes Schema passen, auch besser merken. Passen seine Eigenschaften hingegen nicht so richtig in unser gängiges Bild, vergessen wir sie schneller wieder.
In einer Kommunikationskette geht das allen Menschen so. Deshalb gleichen sich die Beschreibungen von einzelnen Aliens (oder einzelnen Personen) mit einer markanten Gemeinsamkeit immer weiter an.
Auf diese Weise werden sie zu einer Stereotype. Die Stereotype verbindet nun Merkmale, die diese Gruppe tatsächlich auszeichnen, mit Merkmalen, die am Anfang einer aus der Gruppe hatte, die im Laufe der Zeit dann aber fälschlicherweise auch auf die anderen Mitglieder der Gruppe übertragen wurden.
Ein gängiges Klischee ist zum Beispiel, dass Schotten rote Haare haben und einen Kilt tragen. Diese Aussagen treffen tatsächlich auf viele Schotten zu. Genauso wird Schotten aber nachgesagt, dass sie ziemlich mürrisch und außerdem sehr geizig wären. In der Realität dürften sich diese Behauptungen eher nicht bestätigen.
Wie das Experiment zeigte, entstehen solche falsch verallgemeinernden Verknüpfungen typischerweise immer dann, wenn soziale Informationen stetig weitergegeben werden.
Irgendwann wächst auf diese Weise ein individueller Charakterzug zu einem Merkmal, das zumindest dem Klischee nach auf alle Angehörigen einer Gruppe zutrifft.
Es mag also durchaus einen rothaarigen Schotten mit Kilt gegeben haben, der schlecht gelaunt und knausrig war.
Weil sich die Erzählungen über diesen Mann immer weiter verbreiteten und dabei gleichzeitig immer stärker verallgemeinert wurden, legen wir heute die Schablone „mürrisch und geizig“ bei allen Schotten an.
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Thema: Wie entstehen Klischees und Stereotypen?
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